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Pen & Podcast S01E03 – Rollenspieltheorie. Braucht man das?

Januar 07, 2017

4 comments

  1. Athair sagt:

    … Railroading ist mMn auch (gerade) dann nicht gut, wenn ich’s nicht! merken sollte.
    Ab dem Zeitpunkt wo ich es nähmlich bemerke, stelle ich alles bisher Gespielte in der Runde in Frage und überlege ob meine (vermeintlichen) Entscheidungen nicht doch nur auf der Illusionstricks der SL basieren.

    Ich hab nix gegen Railroading, WENN ich weiß, dass es stattfindet. Dann kann bzw. muss ich mich als Spieler zurücklehnen und kann die Zugfahrt genießen. Das betrifft die Handlung und ihre Dramaturgie, die Kulisse mit Weltbeschreibung, … wenn Spieler sowas von der SL verlangen (und solche Runden gibt es), dann nenne ich die Spielweise „Sightseeing“. Meine Aufgabe als Spieler ist es (wie im Theater) die mir zugedachte Rolle mit Leben und Persönlichkeit zu füllen. Das ist was ganz anderes als das, was normalerweise im Rollenspiel passiert und das ich in der Nähe der situativen Story- und Handlungsentwicklung des Impro-Theaters sehen würde.

    Als SL will ich die Spieler aber auch nicht irgendwohin bekommen. Ich bereite ne Spielwelt vor – keine Story für die Spielercharaktere (SC). In der Spielwelt passieren Dinge – und je nachdem, was die SC tun und wo sie hingehen, entwickelt sich ne andere Story/ ein anderer Plot. (Als Spieler … bin ich der brävste Zugfahrer, den man sich wünschen kann – WENN die SL sich die Mühe macht mir das mitzuteilen oder es halbwegs klar zu erkennen gibt. Wenn sie das nicht tut, dann versuche ich meine üblichen Präferenzen auszuspielen. Dazu gehört, dass meine SC-Entscheidungen wesentlich über den Handlungsverlauf mitentscheiden und für „Erfolg“ oder „Misserfolg“ verantwortlich sind. Das beinhaltet das Umgehen von Kämpfen und andere Handlungen, die man unter dramaturgischen Gesichtspunkten als „antiklimaktisch“ verstehen wird. Anders gesagt: Eine Spielleitung, die sich als Illusionskünstler.in versteht, spielt automatisch GEGEN mich. Unabhängig davon ob ich oder sie das will oder nicht. )

    Rollenspieltheorie würde ich (ähnlich wie Mauro) auch als Mittel sehen, um in Bezug auf Rollenspiel die eigenen Spielpräferenzen und Spielziele, Regelebenen, ineinander verschachtelte soziale Prozesse, Spielmechanismen und Spielmethoden, … sprachfähig zu werden. Zu dem Grundproblem gibt es auch einen schönen Artikel aus der Feder von Greg Costikyan (Co-Erfinder des Paranoia-RPG und Entwickler von Star Wars d6 aus dem Regelwerk des regelleichten Ghostbusters RPG): „I have no words and must design“ (1994): https://www.rpg.net/oracle/essays/nowords.html

    Braucht man Rollenspieltheorie zum Spielen? Nein, keineswegs. Eltern müssen auch nicht erst ne pädagogische Ausbildung gemacht haben, um Kinder erziehen zu können oder dürfen. Und: Jemand, der tolle pädagogische Theorien drauf hat, muss a) keine geniale Erzieherin sein – aber genauso wenig muss ihm b) die Intuition verschlossen sein.
    Das Problem, das RSP-Theorie sich mit vielen sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern teilt ist, dass Alltagswissen und -erfahrungen für den (auch engagierten) „Normalanwender“ reichen und dass ihr Wert deswegen gern übersehen wird. Bei naturwissenschaftlichen, technischen oder künstlerischen Disziplinen kommen Leute dagegen viel schneller an ihre Grenzen. Theorien in Bereichen zu nutzen „wo man auch so durchkommt“ hilft trotzdem „Standards“ zu sichern, auch in fremder Umgebung/Situation auf Handlungsmöglichkeiten und Methoden zurückgreifen zu können und Zusammenhänge zu erkennen, die man „mit bloßem Auge“ vielleicht nicht sehen würde. Eltern bekommen z.B. IHRE Kinder erzogen. Wenn sie plötzlich ein älteres, anderes Kind zusätzlich erziehen sollen, das z.B. aus einem anderen Kulturkreis oder mit völlig andersartigen Problemen ankommt, dann ist das i.d.R. mehr, als nur ne Herausforderung. Weil einfaches Nachdenken an seine Grenzen stößt. Gleichwohl gibt es Leute, die durch Erfahrung, eigenes Nachdenken und das praktische Tun selbst, zu Ergebnissen kommen und zu Haltungen, Erkenntnissen, „Privat-Theorien“, you.name.it, die erstaunlich sind und die mit den Theorien nicht nur mithalten können, sondern die auch noch innovatorische Kraft haben. Letztlich ist Theorie ist in der Praxis auch nur so viel Wert, wie sie zur Anwendung gebracht werden kann. Soll heißen: Theorie kann Erfahrung nicht ersetzen und Erfahrung kann Theorie nicht ersetzen. Und so wie Eltern sich mit Pädagogik beschäftigen können und davon profitieren können oder davon verwirrt werden und Handlungskompetenz einbüßen oder da gar nichts raus ziehen können, so ähnlich verhält es sich mit RSP-Theorie und Rollenspielern. Ob es Sinn macht, sich mit RSP-Theorie zu befassen, muss jede.r selbst entscheiden. Und zwar nach dem erwarteten Nutzen (zu dem auch die Freude an der Theorie an sich gehören kann). Das Wissen in Bezug auf RSP-Theorie macht jemanden nicht zu einer guten Designerin, einem guten Spieler oder einer guten Spielleitung, sondern verschafft dieser Person „nur“ Zugriff auf die (abstrahierten, gebündelten, weitergesponnenen) Erfahrungen anderer Rollenspieler. Braucht man nicht. Vor allem nicht für die heimische, eingespielte Runde. Kann sich aber ggf. als nützlich erweisen (oder bei Fehlgebrauch als schädlich).

    @ Regeln: Für mich sind übrigens die entscheidenden Regeln nicht die abgedruckten Spielregeln, sondern diejenigen, welche die Gruppe macht (Erzählrechte, Einigung welche Art von Plausibilität relevant ist, wie Regeln angewendet werden, wie sich die Story/Handlung entwickeln soll, …). Entsprechend sind die Regeln, die eine Freiform-Runde verwendet mMn nicht „leichter“ oder „weniger“ – eher das Gegenteil – sie sind nur weniger greifbar und weniger sichtbar.

    1. Ela sagt:

      Grüß dich, Athair!

      Das ist mal ein ausführlicher, interessanter Kommentar, vielen Dank, dass du uns deine Perspektive zum Thema mitgeteilt hast. Den von dir verlinkten Beitrag werde ich mir gleich erst einmal in Ruhe durchlesen. 😉

      Beste Grüße,
      Ela / Team Pen&Podcast

  2. aikar sagt:

    Ich höre euch wirklich gerne zu, aber gerade bei dieser Folge hätte ich mir mehr Vorbereitung gewünscht.
    Wenn nicht mal innerhalb der Gruppe geklärt ist, was unter Rollenspieltheorie verstanden wird, dann läuft die Gesprächsrunde ins Leere.

    Mauro hat für mich ab 52:00 Grundlage und Problem der Rollenspieltheorie perfekt zusammengefasst und ich fand das „Ich ignorier das mal“ von Ela an diesem Punkt wirklich schade.

    Ich hab in den letzten Jahren einiges an rollenspieltheoretischen Texten gelesen und die meisten von denen haben NICHTs mit den Spielregeln zu tun. Es gibt zwar Regelsysteme, die auf bestimmten rollenspieltheoretischen Konzepten aufbauen, aber die Theorie selbst dreht sich fast immer um systemunabhängige Spielstile und -techniken.
    Gerade Indie-Systeme, die meist sehr regelleicht sind, betonen oft einen bestimmten theoretischen Aspekt bzw. haben ihn überhaupt erst aufgebracht.
    Ein sehr guter Einstieg ins Thema Rollenspieltheorie ist m.M. nach Robin D. Laws „Gutes Spielleiten“.

    Zum Titelthema: Braucht man das? Nein, aber es kann einem helfen, Probleme zu erkennen, die man sonst nicht benennen und damit auch nicht beheben könnte.
    In meiner eigenen Gruppe war das z.B. die Erkenntnis, dass nicht alle Spieler das selbe unter Rollenspiel verstehen und vom Spiel erwarten (und ja, viele Rollenspieler erfassen diese Tatsache nicht einfach intuitiv).
    Ist die Erzählung wichtiger oder die Freiheit der Wahl? Sind Regeln Gerüste oder zwingend verbindlich? Ist das Ausspielen von nicht in Regeln gegossenen Charakter-Schwächen eine Bereicherung oder störend? Ist es gewünscht/erlaubt/verpönt wenn SL und Spieler auf der Metaebene über Ereignisse diskutieren/entscheiden?
    Gruppen funktionieren deutlich harmonischer, wenn Vorlieben bekannt und respektiert werden, bzw. wenn bei unvereinbaren Einstellungen die Gruppe umstrukturiert wird.
    Aber wenn man nicht ausdrücken kann, was einem gefällt und was nicht bzw. die anderen die Formulierungen nicht verstehen, kommt man auch zu keiner Erkenntnis.

    Was mir bei den Diskussionen ums Railroading meist etwas zu kurz kommt (hier und auch in anderen Diskussionen) ist die Bringschuld der Spieler. Kurz kam es bei den absichtlich „herausfordernden“ Charakteren auf den Cons auf.
    Wenn der Spielleiter seine Geschichte durchdrückt ist der Spielleiter böse. Wenn die Spieler nicht auf die Aufhänger der Sandbox aufspringen hat der Spielleiter versagt.
    Auch der Spielleiter ist ein Spieler und hat ein Recht darauf, Spaß am Spiel zu haben.
    Und das impliziert für mich, dass die Spieler die Geschichte unterstützen.
    Eine Spielerin in meiner Gruppe hat das mal gut zusammengefasst: „Wenn ich merke, dass der Spielleiter einen Abenteuereinstieg platziert hat, dann fühle ich mich nicht gegängelt, sonder sehe es als Gelegenheit, weil ich will ja ein Abenteuer erleben“. Sie bringt dann oft auch den Rest der Gruppe, die es vielleicht nicht erkannt haben, in die entsprechende Richtung.
    Ich verstehe und unterstütze, dass Spieler sich wünschen, dass ihr Entscheidungen Konsequenzen haben und nicht entwertet werden sollen. Aber das ein Spieler JEDE Geschichte, die der SL anbietet blockiert, weil es ja „Railroading“ sein könnte oder „absolute Neutralität in jeder Lage“ vom SL fordert, ist das Letzte.
    Es geht immer um Balance. Der Spielleiter steckt viel Zeit und Arbeit in die Vorbereitung, egal ob es ein Story-Abenteuer oder eine Sandbox ist. Dafür hat er sich auch das Recht verdient, einen gewichtigen (nicht allumfassenden!) Einfluss auf die Geschichte zu haben. Der SL ist keine Maschine, die gefälligst völlig ohne das Recht auf eigene Meinung die Spieler zu bespaßen hat. Das würde sich wohl niemand längere Zeit antun.

    1. Maurizio sagt:

      Hallo lieber Aikar,

      ich glaube, dass wir aneinander vorbeigesprochen haben, war sicherlich für uns alle an der Stelle sehr frustrierend. Du schlägst da demnach mitten in eine Wunde. Das war auch der ausschlaggebende Faktor, weshalb in nachfolgenden Sendungen deutlich mehr Vorgespräch stattfand.
      Das Thema Rollenspieltheorie wird uns aber so schnell nicht loslassen und es wird noch weitere Folgen zu diesem Thema geben.

      Dein Punkt zur Bringschuld der Spieler fand ich sehr interessant! Auch das würde ich gerne noch einmal aufgreifen 🙂 Kenne ich als SL nämlich auch zu Genüge und ich gebe dir vollkommen recht!

      Wir werden uns also noch öfter diesen Themen widmen und [SPOILER ALERT] wir überlegen uns gerade noch ein weiteres Format (neben den wöchentlichen Episoden), in dem wir eure großartigen Beiträge noch einmal diskutieren werden.
      Deine Mühen, uns hier zu schreiben, sind demnach nicht vergebens.

      Wir freuen uns sehr darüber, dass du dich so intensiv mit unseren Themen auseinandersetzt und uns gerne zuhörst!
      Bleib uns erhalten und hab einen guten Start in die neue Woche!

      Maurizio &
      Das Pen & Podcast-Team.

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